Weniger Nebenwirkungen, bessere Wirkung in der Kardiologie
Autor: Alexandra Grass
In der Kardiologie nimmt die medikamentöse Therapie einen besonders hohen Stellenwert ein. Umso bedeutsamer ist der Einsatz der pharmakogenetischen Analyse (PGx) in diesem speziellen Fachgebiet. Die richtige Medikation wirksam und sicher auswählen, in der richtigen Dosierung, in der richtigen Form, mit den richtigen Einnahmezeiten – der Kunst des Arztes sind Grenzen gesetzt, wenn die genetische Disposition eines Patienten mit der Standardmedikation nicht kompatibel ist. Denn die Genetik kann die Prozesse rund um die Metabolisierung einer Substanz gehörig beeinflussen. Warum es diese Unterschiede an Metabolisierern gibt, lässt sich heute mittels DNA-Untersuchung aufschlüsseln. Ziel ist, die genetische Variabilität in der Verstoffwechslung von Arzneimitteln zu analysieren, um eine individuelle Versorgung des Patienten auch in der kardiologischen Praxis gewährleisten zu können, die vor allem eines ist – wirksam und sicher.
Im Laufe der Zeit haben Medikamentenstudien den Therapiezugang auf völlig neue Beine gestellt. Jetzt ist es an der Zeit, einen Schritt weiter zu gehen – hin zur PGx-Analyse. Denn trotz Studien, Empfehlungen und Erfahrung zeigt sich, dass Menschen auf Wirksubstanzen unterschiedlich reagieren. Oft wirkt ein Medikament, doch manchmal gar nicht und häufig mit wenigen bis sogar starken Nebenwirkungen. Das liegt an der Pharmakokinetik und der Pharmakodynamik einer Arznei. Die Pharmakokinetik bezieht sich auf die Prozesse, durch die ein Medikament vom Körper aufgenommen und verteilt, dann metabolisiert und schließlich eliminiert wird, erklärt der Kardiologe Uni.-Doz. DDr. Gerold Porenta. Die Genetik ist in der Lage, diese Prozesse zu beeinflussen. Die Pharmakodynamik wiederum beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen eines Medikaments auf die Zielstruktur des Körpers. Das können Rezeptoren oder auch Enzyme sein. Auch hier können Genvariationen die Empfindlichkeit des Patienten verändern.
Die Wirkung am Beispiel Clopidogrel
Der Weg hin zur Wirkung lässt sich etwa bei der Substanz Clopidogrel nachvollziehen. Das Mittel beeinflusst die Hämostase – also die Blutgerinnung – und wird in der Kardiologie zur Therapie und zur Vorbeugung gegen die Bildung von Blutgerinnseln eingesetzt. In der Leber wird Clopidogrel durch das Enzym CYP2C19 zu einer aktiven Substanz umgewandelt. Bestimmte genetische CYP2C19-Variationen können zu einem veränderten Stoffwechsel von medikamentös verabreichtem Clopidogrel führen.
- Bei Personen mit mäßig verzögertem Clopidogrel-Stoffwechsel – sogenannte „mittelmäßige Metabolisierer – kann es dazu kommen, dass Clopidogrel nur langsam in seine aktive Form verstoffwechselt wird, und das Medikament nur unzureichend wirksam ist.
- Bei Personen mit stark eingeschränktem Clopidogrel-Stoffwechsel – sogenannte „schlechte Metabolisierer – kann es dazu kommen, dass Clopidogrel fast gar nicht in seine aktive Form verstoffwechselt wird und die betroffenen Personen auf die Therapie besonders schlecht ansprechen.
In beiden Fällen muss von der behandelnden Ärztin bzw. des behandelnden Arztes eine Erhöhung der individuellen Clopidogrel-Dosierung bzw. der Umstieg auf ein alternatives Arzneimittel in Erwägung gezogen werden.
Die Bedeutung der PGx-Testung bei der Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen mit den Blutverdünnern Clopidogrel und Warfarin sowie dem Cholesterinsenker Simvastatin wurde schon in einer im Jahr 2019 im Open Access Journal „Genes“1 publizierten Studie besonders hervorgehoben.
Der niederländische Neurologe Daniel M.F. Claassens untersuchte wiederum die Strategie beim Einsatz von Thrombozytenaggregationshemmern im Rahmen eines therapeutischen Herzkatheters. Auch hierbei zeigt sich eine vorherige PGx-Analyse als besonders wertvoll.2 Eine vorherige Untersuchung führte dazu, dass das Ausloten der Behandlung zwischen den Substanzen Ticagrelor und Prasugrel auf genetischer Grundlage zu einer geringeren Inzidenz von Blutungen führte.
Warum CYP2D6 von Bedeutung ist
Besondere Bedeutung im Reigen der Enzyme kommt CYP2D6 zu. Es ist an der Metabolisierung von knapp einem Viertel der gebräuchlichen Medikamente beteiligt, wie Univ-Doz. DDr. Gerold Porenta betont. Je nach Phänotyp ist die Verarbeitung im Körper unterschiedlich.
- Beim Normal Metabolizer (NM – normale Wirkung) wird eine Substanz normal schnell metabolisiert. Die meisten Europäer sind NM, sodass in der Regel die Dosis von Arzneistoffen auf sie abgestimmt ist.
- Beim Intermediate Metabolizer (IM – Enzym reduziert wirksam) wird das Substrat vermindert metabolisiert, was sich darin erkennen lässt, dass sich das Medikament nur knapp im therapeutischen Bereich befindet.
- Beim Poor Metabolizer (PM – keine Enzym-Aktivität) kann es zu einem toxischen Zustand kommen, da die Substanz nur sehr langsam verstoffwechselt wird.
- Wiederum findet beim Ultra Rapid Metabolizer (UM – zu hohe Enzym-Aktivität) eine extrem schnelle Metabolisierung statt, sodass ein Arzneistoff den therapeutischen Bereich gar nicht erreichen kann.
30 Prozent weniger Nebenwirkungen durch PGx-Analyse
Die PGx-Analyse ist bahnbrechend: Die Anpassung von Medikamenten an die DNA führt zu 30 Prozent weniger Nebenwirkungen, wie eine Anfang 2023 in „The Lancet“3 publizierte Studie zeigt. Sie ist die erste ihrer Art, die die praktische Anwendung der Verschreibung von Arzneimitteln auf der Grundlage der genetischen Information einer Person nachweist. Die Studie ist im Rahmen des internationalen Projekts „Ubiquitous Pharmacogenomics“4 (U-PGx) entstanden, das aus dem EU-Programm Horizon 2020 gefördert wird.
Bei der PGx-Analyse werden Genvarianten in der DNA-Sequenz herausgefiltert, die das Ansprechen auf ein Arzneimittel beeinflussen können. Als Berechnungstool dient der PGx-Optimizer®, der die praktische Anwendung unterstützt. Er berechnet die optimale Medikamenten-Kombination und -Dosierung, wonach der Arzt schließlich handeln kann. Aufgezeigt werden dabei nicht nur Einzelsubstanzen, sondern auch Interaktionen zwischen verschiedenen Arzneimitteln, die auf dem Behandlungsplan eines Patienten angeführt sind. Zudem kann eine Therapie optimiert werden, indem der PGx-Optimizer® auch Substanzen anführt, die als bessere Alternative dienen. Einmal getestet, hat der Mediziner für den Patienten eine überzeugende Ressource in der Hand, um individuell und vor allem wirksam therapieren zu können – auch in der Kardiologie.