Psychische Erkrankungen und Schmerz zielgerichtet therapieren – die pharmakogenetische Analyse macht´s möglich

Autor: Alexandra Grass

 

Psyche und Schmerz – auf den ersten Blick scheint es keinen Zusammenhang zu geben. Doch gehen psychische Erkrankungen und Schmerzleiden häufig Hand in Hand. Der Schmerz schlägt auf das Gemüt – und umgekehrt. Die Behandlung stellt den Arzt vor Herausforderungen. Denn aufgrund der Vielzahl auf dem Markt befindlichen Psychopharmaka und Analgetika ist der Weg zur wirksamen Therapie oft ein langer und schwieriger. Obwohl es seit etwa 20 Jahren möglich wäre, mit Hilfe genetischer Untersuchungen individuelle Risiken für die Wirksamkeit und Nichtwirksamkeit sowie das Auftreten von Nebenwirkungen besser einschätzen zu können, stehen Versuch und Irrtum in der Praxis auf der Tagesordnung. Zum Leidwesen zahlreicher Patienten. Die pharmakogenetische (PGx) Analyse in Kombination mit dem „PGx-Optimizer“ stellt einen Lösungsweg fern heuristischer Methoden, die auf Schätzen, Beobachten und Vermuten beruhen, dar.

Die Fakten zeigen ein deutliches Bild: Fast zwei Millionen Österreicher leiden unter chronischen Schmerzen. Der Verbrauch von Analgetika hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Seit Beginn der Corona-Pandemie war nochmals ein unerfreulicher Aufschwung zu verzeichnen. Die Nachfrage nach Schmerzmitteln ist seither um 17 Prozent gestiegen. Rund 730.000 Österreicher leben mit einer Depression. Bei stimmungsaufhellenden Substanzen, so genannten Psychoanaleptika oder Antidepressiva, ist eine Zunahme von fünf Prozent im Vergleich zu vor Krisenzeiten zu sehen.1 Denn auch die psychische Gesundheit hat sich seit dem Beginn der Corona-Pandemie erheblich verschlechtert, wie Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen. Ab März 2020 stieg die Verbreitung von Angstzuständen und Depressionen in 15 ausgewählten OECD-Ländern an – in Österreich um 13 Prozent.2

Psyche und Schmerzempfinden können sich wechselseitig beeinflussen. So sind chronische Schmerzen für Betroffene in der Regel auch psychisch sehr belastend. Andererseits können Leiden wie Depressionen oder Angststörungen eine Chronifizierung akuter Erkrankungen fördern. Chronische Schmerzen, psychische Belastungen und soziale Faktoren bilden dabei ein teuflisches Dreieck. Denn soziale Probleme wie Einsamkeit, ständige Familienstreitigkeiten, schwierige Arbeits- oder Wohnverhältnisse oder Existenzängste begünstigen sowohl die Entstehung von Schmerzen als auch jene von psychischen Erkrankungen.

PGx-Analyse ist Teil der Präzisionsmedizin

Der Patientenstrom in die Arztpraxen zeigt ein Bild von der aktuellen Lage. Doch selten klappt die Therapie auf Anhieb. Viel zu oft führen auch mehrere Anläufe, das geeignete Medikament mit effizienter Wirkung zu finden, nicht zum erhofften Resultat. Dass es möglich ist, mit genetischen Untersuchungen individuelle Risiken für die Wirksamkeit und Nichtwirksamkeit abzuwägen sowie das Auftreten von Nebenwirkungen besser einschätzen zu können, ist seit bereits rund 20 Jahren bekannt, betont die Schmerzmedizinerin Astrid Pinsger-Plank. „Die Pharmakogenetik ist Teil der stetig wachsenden Präzisionsmedizin, deren Ziel es ist, zielgerichtete, individualisierte medizinische Maßnahmen setzen zu können.“

Sie ist Präzisionsmedizin im wahrsten Sinne des Wortes. Mithilfe eines einfachen Bluttests lässt sich bei jedem Menschen von Geburt an feststellen, welche Substanzen wirkungsvolle Blutspiegel aufbauen können und welche nicht. Auch lassen sich potenziell schwere Nebenwirkungen und Reaktionen des Immunsystems einschätzen. Mittels einer PGx-Analyse werden zudem Medikamentenwechselwirkungen erklärbar und besser abschätzbar.

Die Wirksamkeit am Beispiel Sertralin, Escitalopram und Tramadol

Was das für den Patienten per se bedeutet, zeigt sich etwa bei der Gabe des Antidepressivums und Anxiolytikums Sertralin. Mehr als 170.000 Patienten in Österreich werden derzeit mit Sertralin therapiert. Dabei ist rund ein Viertel davon von einem Mangel des Leberenzyms CYP2C19 betroffen.3 CYP2C19 ist eines jener Enzyme, das an der Verstoffwechselung von Arzneimitteln beteiligt ist. Bei sogenannten Poor-Metabolizern – Patienten, die bestimmte Arzneistoffe praktisch nicht verstoffwechseln – kommt es unter der Gabe von Sertralin zu einem um 50 Prozent erhöhten Plasmaspiegel. Damit steigt das Risiko von Nebenwirkungen, weiß PharmGenetix-Geschäftsführer Wolfgang Schnitzel. Wird der Polymorphismus, also die genetische Statuserhebung, von CYP2C19 nicht bei Therapiebeginn überprüft, besteht bei etwa einem Viertel der Patienten – mehr als 42.000 Betroffenen – eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Unverträglichkeit durch eine erhöhte Wirkstoff-Exposition.

Bei Escitalopram zeigt sich ein ähnliches Bild: Rund ein Viertel aller Patienten, die mit dem Antidepressivum und Anxiolytikum behandelt werden – das sind mehr als 32.000 Betroffene – weisen einen Mangel an CYP2C19 auf, was ebenso zu einer doppelt so hohen Plasmakonzentration des Wirkstoffs führt. Zudem sind etwa 49 bis 62 Prozent4,5,6 von einem Mangel an CYP2D6 betroffenen – mit demselben Effekt. Jährlich werden Tausende Patienten neu auf die Substanz eingestellt, davon haben mehr als die Hälfte eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Unverträglichkeit durch eine erhöhte Wirkstoffkonzentration. Daher sollte der Polymorphismus von CYP2C19 und CYP2D6 hierbei ebenso schon vor Therapiebeginn überprüft werden.

Das Leberenzym CYP2D6 ist auch beim Schmerzmittel Tramadol von großer Bedeutung. Weist ein Patient einen Mangel auf beziehungsweise fehlt ihm dieses Enzym vollständig, kann das Ziel – nämlich schmerzfrei zu sein – nicht erreicht werden. Schätzungen zufolge leiden bis zu sieben Prozent der kaukasischen Bevölkerung an diesem Mangel. Bei sogenannten Ultra-rapid-Metabolizern – Patienten, die Arzneistoffe sehr schnell verstoffwechseln – wiederum besteht das Risiko, auch bei der üblichen Dosis eine Opioidvergiftung zu erleiden. Mehr als 90.000 Patienten werden derzeit in Österreich mit Tramadol therapiert – rund 6.000 (etwa sieben Prozent) sind von einem Funktionsverlust von CYP2D6 betroffen. Weitere 41 bis 55 Prozent weisen einen Mangel an CYP2D6 auf, was sich in einer nur geringen Schmerzreduktion äußert. Etwa 4.500 Tramadol-Patienten (rund fünf Prozent) haben dagegen eine CYP2D6-Überfunktion mit dem erhöhten Risiko, eine Opioidtoxizität zu entwickeln.5,6

Mit einer pharmakogenetischen Untersuchung schon vor Beginn der Behandlung könnten viele Tausende Patienten zielgerichteter und effizienter therapiert werden.

 

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